Endlich Frei

DIE GESCHICHTE DAZU....

 

 

 

In der Stadt Schon-immer-so-hausen lebte eine junge Frau namens Emilia, die eine unerklärliche Sehnsucht in sich trug. Es war keine gewöhnliche Unzufriedenheit, sondern ein unaussprechliches Gefühl, das sie ergriff, wenn sie die Grenzen der Stadt sah. Die hohen Mauern und die vertrauten Straßen, obwohl verlockend vertraut, ließen sie unruhig zurück.


Ein unbestimmtes Verlangen nach etwas anderem, nach Unbekanntem, erfüllte sie.

 

Emilia fühlte sich von den alltäglichen Routinen in ihrer Stadt eingeengt. Ihre Seele schrie nach Abenteuern, nach einem Ort, der nicht auf gewöhnlichen Karten eingezeichnet ist, nach einem Land, in dem sie das Unfassbare finden könnte. In ihren Träume schwebte sie über die Stadtmauern hinaus, in Richtung des Horizonts, der versprach, sie in eine Welt jenseits fester Grenzen zu entführen.

 

 

Entschlossen, diesen verborgenen Ruf zu erkunden, begann Emilia, ihren Rucksack mit Proviant, einer Landkarte der bekannten Welt und einem Tagebuch für ihre Abenteuer zu packen. Sie spürte, dass es da draußen mehr gab, als das, was ihr bestimmt schien. Ihr Entschluss, die Stadt zu verlassen, war keine Flucht vor etwas Bestimmtem, sondern ein Aufbruch, eine Reise, um das bisher Unerforschte zu entdecken, um zu finden, was ihr Inneres sehnte.

 

 

Würde sie auf ihrer Reise nun auf Herausforderungen stoßen, die ihre Entschlossenheit nicht nur einmal auf die Probe stellen würden? Während sie sich durch dichte Wälder kämpfte und reißende Flüsse überquerte, Berge erklomm? Würde sie aber auch unerwartete Quellen, voller Weisheit und Unterstützung, Liebe und Verständnis und Frieden finden?

 

 

So begann nun ihre Reise mit der Durchquerung der dichten Wälder von Bleibsonja­wiedubistja.
Sie spürte das Knistern der trockenen Blätter unter ihren Füßen und hörte das geheimnisvolle Rauschen des Windes im dürren Geäst. Die Bäume, die manchmal so dicht verstrüppt waren, dass sie ihr den Weg versperrten, schienen Geschichten zu erzählen, die voller Befürchtungen waren. Doch Emilia verließ sich auf ihre Intuition und ihren Mut, um einen Weg durch das Labyrinth der Bäume zu finden. Und eine geheimnisvolle Eule schließlich führte sie in der Nacht über versteckte Pfade in die Freiheit. Sie schien Emilias Sehnsucht zu kennen und nickte ihr wohlwollend zum Abschied zu.

 

 

Als sie nach zwei weiteren Tagen durch hügeliges Grasland gezogen war, erreichte sie einen reißenden Fluss. Er versperrte ihren geraden Weg und sie spürte eine Mischung aus Verzweiflung, Furcht, aber auch aus Faszination für diese unbekannte Herausforderung. Das Wasser tobte wild und schien unüberwindbar. Als sie das Ufer absuchte, fand sie einen ungewöhnlichen alten Mann, der dort in einer Höhle hauste. Er lud sie zu sich ein, aber nicht um sie über den Fluss zu bringen. Er bot ihr vielmehr an, die Kunst des geduldigen Beobachtens zu erlernen. Emilia konnte alleine den Fluss nicht überqueren und so blieb sie und erlernte die Kunst der Beobachtung. Nach einjähriger Übung, die sie Dank ihrer Beharrlichkeit durchgehalten hatte, erkannte Emilia plötzlich die Lösung.

 

Sie bemerkte, das der Fluss im Jahresverlauf manchmal deutlich weniger Wasser führte und so suchte sie eine flachere Stelle, wo sie zur richtigen Zeit dem fließenden Wasser würde trotzen können.

 

 

Emilia musste nun ein weiteres Jahr auf die Zeit des Niedrigwassers warten und lebte nun geduldig ihren Alltag am Fluss.

 

Und dann kam ihr Tag: Zum Abschied gab ihr der Waldkauz einen besonderen Hinweis: Er erkläre ihr, dass der Fluss „Gestern zum Morgen“ heiße und beglückwünschte sie, im hier und jetzt sich alle notwendige Zeit genommen zu haben. Und nun sei es soweit, für ihr eigenes ‚Morgen‘.
„Zu meinem eigenen Morgen…“, wiederholte sie nachdenklich.

 

 

Sie tat ihren ersten Schritt also jetzt, zu ihrem Morgen hin: Er war nass und kalt und verwegen. Doch sie ging konzentriert und achtsam, durchquerte den eisigen, aber zu dieser Jahreszeit längst nicht mehr so gefährlichen Fluss. Sie hatte sich die Zeit genommen, um im hier und jetzt alles genau zu beobachten, zu lernen und daraus ihren nächsten Schritt zu entscheiden. Zeit, verstand sie, spielte also eine wichtige Rolle, um sich vorzubereiten.
Und Mut und Wille!

 

 

Sie hatte viel gelernt.

 

 

Ihre Reise führte sie nun aus dem Flusstal zu den steilen Bergen, die, je näher sie kamen, eine immer weniger überwindbare Barriere darstellten. Emilia folgte einem offenbar bereits viele Male begangenen Pfad und erreichte am Ende des siebten Bergtages eine Hütte. Ein junger Mann, der ein Geschichten­erzähler war, lud sie ein, bei ihm zu bleiben. Und so hörte sie Abend um Abend alte Legenden in der Hütte in den Bergen. Dort war auch die Rede von einer Inselwelt, jenseits einer Küste, auf der laut den Mythen viele Dinge möglich sein sollten. Emilia merkte, wie ihr Herz jedes mal schneller zu schlagen begann, ihre Sehnsucht aufloderte, wenn sie davon hörte. Und es erschien ihr, als wenn sie ihr Leben lang auf genau jenen Ort gewartet hätte. Aber gab es ihn oder gab es ihn nicht? Ihr wurde es zunehmend egal! Ihr erschien es ein immer lohnenswerteres Ziel. Und eines Morgens, beim routinierten Wasserholen für ihre kleine Gemeinschaft, verstand sie plötzlich, dass Sie jetzt aufbrechen musste oder für immer bei ihm bleiben würde.

 

 

Sie musste los und ihren eigenen Weg finden, um diese Berge zu bewältigen. Würde sie bleiben, würde sie sich in der Gemütlichkeit des Alttags verlieren, aber im Herzen hungrig bleiben. Sie bat den Mann, der ihr Freund geworden war, im Frühling schließlich um Ausrüstung und Proviant. Und zu guter Letzt schenkte er ihr seine Karte, die er nicht mehr brauchen würde. Sie zeigte den alten Pfad über das Gebirge auf die andere Seite. Er würde ihn sicher nicht mehr gehen, denn er war zufrieden mit dem, was er hier gefunden hatte. Mit den Hinweisen aus den Legenden, den Mythen und Geschichten und der Karte suchte Emilia nun ihren Weg.


Waren vor ihr auch schon andere diesem Bergpfad gefolgt? Der Weg schien bereits begangen.

 

Und so überwand sie nach einigen Wochen und auch einigen Irrwegen die Barriere. Sie traf wieder auf andere Menschen und Lebensgemeinschaften, hier, auf der anderen Seite der Bergkette. Und sie verstand zunehmend, dass sie jedes Mal die Wahl hatte, wenn sie in ein Dorf kam, einem besonderen Menschen begegnete oder sich in wunderschönen Augen verlor: Sie konnte bleiben oder weiter gehen.

 

 

Und so erreichte sie schließlich die Küste. Und statt mit einer friedvollen Ankunft belohnt zu werden, sah sie auf ein wildes, schier unberechenbares Meer.

 

 

Die Herausforderung bestand jetzt darin, einen Weg durch die tosenden Gewässer zu finden. Denn vor ihr lag in Sichtweite die legendäre Inselwelt, die jetzt nur noch von ihr erobert werden musste. Boote fuhren nicht, denn da wollte niemand hinaus. Fliegen konnten nur die Seevögel, die sich in der tosenden Brandung um die Beute stritten.

 

Wie also sollte sie diese letzte Barriere überwinden?

 

 

Emilia hatte bereits soviel gelernt und für sich verstanden, dass sie sich jetzt einfach nur hinsetzte und lange und ruhig das Land, das Meer und die Tiere und Pflanzen beobachtete.

 

Sie nahm sich alle Zeit, achtsam zu verstehen.

 

 

So entdeckte sie, dass sich während der Gezeiten Seevögel immer wieder an einem ganz bestimmten Punkt in der Ferne an verschiedenen Stellen im Meer versammelten. Emilia beobachtet jetzt noch genauer und fand dort eine Landzunge, die bei Ebbe zugänglich wurde und sich auch dicht unter der Meeresoberfläche immer wieder in seichten Untiefen offenbar weit zu den Inseln hinausstreckte. Jeder, den sie befragte, riet ihr dringend ab, sich auf solche Spekulationen zum Land und Meer einzulassen. Man wisse schließlich besser, wie sich hier das Meer und das Land zueinander verhalten. Aber Emilia beobachtete weiter und wartete geduldig über fast zwei Jahre. Als das Wasser im folgenden Sommer-Vollmond, wie aus ihren Erkenntnissen erwartet, wieder am stärksten zurückwich, wagte sie es.

 

 

Sie arbeitete sich zwischen den Untiefen und den Strömungen teilweise schwimmend, teilweise watend, im sommerwarmen Wasser zur ersten Insel vor.

 

Und so erreichte Emilia den Strand. Sie war tatsächlich angekommen. Ein überbordendes Gefühl der Dankbarkeit und auch das Gefühl unbändigen Stolzes erfüllte sie: Sie hatte es geschafft, sie hatte die unzähligen Herausforderungen ihres Weges gemeistert, sie hatte gelernt und geübt und wieder gelernt und wieder geübt, sie war geduldig geblieben und sie hatte niemals ihr Ziel aufgegeben.

 

 

Und nun war sie endlich an dem Ort angekommen, der ihr völlig neuen Möglichkeiten und natürlich auch Abenteuer versprach. Das, was sie wirklich gewollt hatte, als sie vor langer Zeit in ihrer Stadt gestartet war.

 

 

Hier, in dieser neuen Welt, die "Wandelland" genannt wurde, begann Emilia ein neues Leben aufzubauen, im Herzen mit all den Wundern und der Weisheit, die sie während ihrer Reise gesammelt hatte. Sie war bereit, neue Herausforderungen anzunehmen und ihre eigene Reise weiter fortzusetzen, getragen von der Gewissheit, dass das Unerwartete keine Unmöglichkeit mehr war. Wenn man entschlossen blieb und außerhalb der eigenen, scheinbaren Grenzen fühlte, dachte und sich bewegte, dann war alles möglich. Das war es, was sie durch ihre Erfahrungen unzählige Male erlernt hatte. Aber vielleicht blieb sie auch einfach hier.

 

 

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Endlich frei,die Geschichte dazu...
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